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  • AutorenbildMarcel Rößner

Purpose als Antrieb für regeneratives Wirtschaften 

Stell dir vor, ein Unternehmen ist mehr als nur ein Ort, an dem Produkte hergestellt oder Dienstleistungen angeboten werden. Stell dir vor, ein Unternehmen hat eine tiefere Bedeutung, einen besonderen "Grund des Seins", der über das reine Gewinn machen hinaus geht. Dann verfolgt es einen Purpose – der Kern, der eine Richtung gibt und zeigt, wofür dieses Unternehmen in der Welt steht. In diesem Artikel wollen wir dem Thema Purpose aus verschiedenen Perspektiven näherkommen und neben einer theoretisch systemischen, auch eine praktische Betrachtung zulassen, um die Notwendigkeit eines Unternehmenspurpose zu beleuchten.



Ausgangslage auch für diesen Artikel ist die Tatsache, dass sich Unternehmen derzeit in einer komplexen Umwelt wiederfinden. Diese Komplexität ist durch Veränderungen wie die Digitalisierung als auch diverser Krisen nicht weniger geworden. Die Wirtschaft selbst ist ein komplexes adaptives System, welches eher einem Ökosystem gleicht als einer linear ablaufenden Maschine. Sie kann nicht komplett durchschaut, verstanden oder kontrolliert werden. Die Annahme ist leider weiterhin, dass die Struktur der Wirtschaft durchschaubar wäre. Diese Annahme ist zwar populär, jedoch falsch, da wirtschaftliche Systeme aus sich selbst heraus neue Eigenschaften bilden und aufweisen können. Es gibt in diesem System weder Gleichgewicht noch lineare Abfolgen. [1] Das Gute bleibt, dass es eine einfache Gesetzmäßigkeit gibt, um mit Komplexität zu hantieren. Ashby´s Law. Das Gesetz der erforderlichen Varietät von W. Ross Ashby liefert eine klare Richtung für Unternehmen, wie komplexe Herausforderungen gelöst werden können:

Zur Bewältigung einer Problemsituation benötigt es eine mindestens gleich große Varietät durch das Lösungssystem. – W. Ross Ashby [2]

Es liegt also am Unternehmen (Lösungssystem), die Umwelt (Problemsystem) passend zu begegnen. Entscheidend ist dabei, dass die Komplexität der Umwelt nicht reduziert, sondern nur bewältigt werden kann. Die Bewältigung kann durch das Zusammenspiel von sowohl optimaler Vereinfachung als auch Weiterentwicklung eigener Ideen sein. Es gibt lediglich diese zwei Möglichkeiten, um die Varietät auszugleichen. Durch Vereinfachung der Entscheidungssituation, was einer Varietätsreduktion gleichkommt, oder der Stärkung der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten, was einer Varietätsgenerierung entspricht. [3]

Die enorme Komplexität des betrieblichen Alltag ist an einem Maßstab, wo dieser auf eine normative Stärke angewiesen ist. Dieses normative Element kann dabei helfen, Unsicherheit zu reduzieren und gleichzeitig die notwendige Orientierung und Flexibilität im Handeln zu geben. Die Ausrichtung erfolgt nicht primär ethisch, sondern allein im Interesse der Lebensfähigkeit des Unternehmens. Denn wenn Komplexität die Herausforderung eines Unternehmens ist, dann ist der Purpose ein wesentlicher Teil der Antwort. Unternehmen mit dauerhaftem Erfolg passen sich auf Basis festgelegter Grundwerte ständig mit ihren Geschäftsstrategien und -praktiken an die sich ständig verändernde Welt an. Purpose ist daher mehr als eine weitere Mode aus dem Silicon Valley. [4] Ein explizit definierter Purpose dient als innerer Kompass, der durch ein sehr launisches Wetterereignis an Komplexität führt.


Purpose im gegenwärtigen Handeln = Purpose in der zukünftigen Form

Eine weitere Perspektive auf das Thema Purpose ist durch Stafford Beer, einem Systemtheoretiker und Kybernetiker aus den 60er Jahren, möglich. Er beschreibt das Viable System Model und definierte in seiner Zeit ein wichtiges Akronym, welches für Organisationen und seine Aktivitäten gilt. POSIWID – The Purpose of a System is What it Does.  Diese Eselsbrücke weist darauf hin, dass nur tatsächliche Verhaltensweisen und Leistungen eines Unternehmens der echte Purpose sind. Es geht also darum, welche Resultate ein Unternehmen wirklich erzeugt. Dem gegenüber steht die Frage eines Unternehmens, welchen Sinn es weiter in der Zukunft verfolgt. Beide Sichtweisen lassen sich integrieren, indem der formulierte Sinn und Zweck eines Unternehmens mit dem realen Wirken gegenübergestellt wird. [5]



In einer zeitlichen Dimension geht die Idee des Purpose über die Visions- und Missionsarbeit hinaus.  Die Vision beschreibt das langfristige Zukunftsbild eines Unternehmens auf 3-10 Jahre. Die Mission die auf 1-5 Jahre angelegt ist, zielt schon auf den Purpose, wenn in diesem der Existenzgrund artikuliert wird. Die Purpose-Idee umfasst zusätzlich den Beitrag zu einem größeren Ganzen und kann über viele Jahrzehnte wirken (siehe Abbildung 1). Das kann eine Region, ein Land oder die ganze Welt umspannen. Ein unternehmerischer Purpose ist in diesem Sinne nicht selbstgenügsam, sondern sucht immer den Beitrag für das Gemeinwohl, die externe Referenz. [6] Auch dieser Gedanke lässt sich in einer einfachen Formel darstellen:


Purpose = Mission * Public Value


Die Wirtschaft ist nicht vom Gemeinwohl zu trennen, da ein Unternehmen in einer vernetzten Wirtschaft unweigerlich auf das Gemeinwohl einwirkt. Das Gemeinwohl ist daher auch nicht allein als staatliche Aufgabe zu verstehen. [7] Durch regeneratives Wirtschaften kultivieren Unternehmen einen lebendigen Zweck: die Schaffung von Gemeinwohl. [8] Unternehmen, die in ihrer Entwicklung nach Regeneration streben, richten Ihren Lebenszweck durch eine klar definierte Mission auf einen größtmöglichen Beitrag des Gemeinwohls aus. [9] Dieses Selbstverständnis lässt sich immer mehr auch bei Unternehmen beschreiben, die sich schon auf den Weg dieser Entwicklung gemacht haben. Bei z.B. Ecosia wird deutlich, dass der Purpose radikal auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist. Das Geldverdienen ist „nur noch ein Mittel“ für den Zweck. Anders als in Unternehmen, die womöglich sehr ähnliche Dienstleistungen in derselben Branche abbilden (siehe Abbildung 2). Ihr kennt sicher auch andere Suchmaschinen-Anbieter😉.


Ecosia widmet 100 % des Gewinns dem Planeten und möchte einfache Möglichkeiten für Menschen schaffen, jeden Tag klimaaktiv zu sein.[10] Die Mission und der Gemeinwohlbeitrag stechen beide sehr klar hervor. Auch wenn es den Stempel eines "regenerativen Unternehmens" sicher nie geben wird, fällt Ecosia eindeutig in die Kategorie der Unternehmen, die sich in Richtung einer regenerativen Wirtschaft entwickeln. Denn es ist ein Unternehmen, welches unter anderem durch Eigentums-, Finanz- und Governance-Strukturen versucht den Purpose in der Unternehmens-DNA zu verankern, um damit jeden Tag den inhärent formulierten Gemeinwohlbeitrag zu vergrößern. Also jeden Tag noch mehr Gutes tun. Irgendwie schön, oder?


Regeneratives Wirtschaften fordert einen Corporate Purpose?

Neben der Ausrichtung auf das Gemeinwohl, ist ein Corporate Purpose inzwischen ein obligatorischer Bestandteil einer jeden B Corp Zertifizierung. [11] Um ein B Corp zu werden, müssen Unternehmen hohe Standards hinsichtlich sozialer und ökologischer Leistung, öffentlicher Transparenz und gesetzlicher Verantwortlichkeit erfüllen, um Gewinn und gesellschaftlichen Mehrwert in Einklang zu bringen. [12] Daher wird eine Zweckklausel in der Satzung des Unternehmens benötigt, um zum einen den Erfolg des Unternehmens im wirtschaftlichen Sinne, aber vor allem auch einen wesentlichen positiven Einfluss auf die Gesellschaft und die Umwelt zu fördern. [13] Dies kann im Gesellschaftsvertrag eines Unternehmens neben dem eigentlichen Inhalt der Geschäftstätigkeit des Unternehmens festgehalten werden und diverse Punkte wie die Einhaltung der Menschenrechte, oder den positiven gesellschaftlichen und ökologischen Wandel umfassen. [14] Ist diese gemeinwohlorientierte Mission in der Satzung des Unternehmens nicht formuliert, ist eine B Corp Zertifizierung für diese Organisation ausgeschlossen. Denn zertifizierte B Corps verstehen sich im Kern als einen Teil einer globalen Bewegung, die für eine integrative, gerechte und regenerative Wirtschaft stehen. [15]


Eine regenerative Marktwirtschaft braucht Purpose als Zündstoff für positive Disruption!

Hat man erst verstanden, was eine Organisation selbst beitragen kann, um Umwelteinflüsse zu reduzieren oder Missstände in den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen, lassen sich ganz neue Produkte und Services entwickeln. Es entsteht ein neuer Wert, der sich am Ende bei allen Stakeholdergruppen bemerkbar machen wird und ggf. ganze Märkte auf den Kopf stellt. Marken, die das gerade versuchen sind z.B. Denttabs oder Reckhaus. Es folgen sicher viele weitere Unternehmensbeispiele. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern bei diesen neuartigen Herangehensweisen auch weitere Kriterien des regenerativen Unternehmertums aufgebaut werden. Denn neben dem Impact auf ein Ökosystem, einer sehr heldenhaften Sichtweise (ich würde sogar patriarchal sagen) auf das Thema Regeneration, bedarf es auch einer langfristigen Beziehung zu eben Diesem, die nur über Empathie und Einfühlungsvermögen geführt werden kann. Erst durch die Verbindung beider Kriterien, die eines positiven Impacts, als auch einer langfristigen tiefen Beziehung zu einem Ort und seiner Beschaffenheit sollte uns dazu leiten, von regenerativer Entwicklung zu sprechen. Entscheidende Personen für diese Entwicklung sind Eigentümer und Eigentümerinnen, sowie Unternehmer und Unternehmerinnen, die diese Grundlagen im Kern einer Organisation anlegen können. Denn die Unterscheidung von einem konventionell geführten zu einem regenerativ geführten Unternehmen erfolgt erst, wenn das ursprüngliche Erfolgsparadigma, welches ausschließlich an die finanzielle Sicht gekoppelt war, neu auszulegen. Das bedeutet im speziellen die Erfolgswahrnehmung auf das Gemeinwohl als festen Bestandteil zu integrieren und den finanziellen Part als Mittel zur Erreichung des Zwecks zu leben.


Zum Thema Erfolg haben wir schon einen Blog geschrieben. Schau mal hier.  


[1] vgl. Gomez/Lambertz/Meynhardt (2019), S. 32

[2] vgl. Gomez/Lambertz/Meynhardt (2019), S. 26f.

[3] vgl. Gomez/Lambertz/Meynhardt (2019), S. 26f.

[4] vgl. Gomez/Lambertz/Meynhardt (2019), S. 98f.

[5] vgl. Gomez/Lambertz/Meynhardt (2019), S. 49f.

[6] vgl. Gomez/Lambertz/Meynhardt (2019), S. 49f.

[7] vgl. Gomez/Lambertz/Meynhardt (2019), S. 100f.

[8] vgl. Kelly (2013), S. 67

[9] vgl. Raworth (2021), S. 281f.

[10] vgl. Website von Ecosia

[11] vgl. Schwettmann (2022)

[12] vgl. Arianna Terzago (2021)

[13] vgl. B Lab (2022), S. 1

[14] vgl. Raworth (2021), S. 281f. [15] vgl. Website von B Corp


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